„Sofameditationen“

Gedichte, lyrische Texte und Zeichnungen in 2 kleinen Bänden von LINDE UNREIN

Nein, eine leichte Kost serviert uns LINDE UNREIN nicht aus der meditativen Sofa-Küche, – aber sie ist köstlich, vielschichtig, locker und heiter angerichtet, sehr strukturiert und geordnet. Die Gedichte, Texte und Zeichnungen präsentieren sich auf den ersten Blick mit einer katzenartigen Leichtigkeit des Gangs, doch plötzlich gibt es da ein Ausschlagen, Drehen, Zupacken, eine selbstironische Wendung, die einen stutzig werden lässt, immer wieder zum Lachen bringt oder zum nochmaligen Lesen zwingt.

LINDE UNREIN ist eine Magierin der Worte und das braucht „wissen braucht zeit und ordnenden verstand“ (Bd. 2, S. 83) Die Komplexität ihres persönlichen Kosmos im Kleinen wie im Großen ordnet sie immer wieder neu: Wechsel der Bezugsrahmen. Zeichnungen, Texte, Gedichte alles ist aufeinander bezogen und doch ist jedes eigen.

So ist das Inhaltsverzeichnis eines jeden Bandes Programm, ist ein neues Gedicht und nicht nur eine Sammlung von Überschriften. Jede Zeile charakterisiert den Inhalt des Kapitels und wird von der jeweils einleitenden Zeichnung unterstrichen. Jede Zeile ist das Bruchstück eines Gedichtes und gibt der inhaltlichen Dramatik, dem Furor eine Art Leichtigkeit, einen alles-ist-möglich scheinenden Hoffnungsstrahl. „habe dich/möglichen engel/gespürt“ (Kapitel 1) löst andere Konnotationen aus als „wehklage“, „planspiele“, „alles oder nichts“. (Auswahl Gedichtüberschriften Kapitel 1)

In den Zeichnungen, analog zu den Kapiteln sieben in jedem Band, zeigen sich die Gedichte des ersten Bandes als Versuch einer Ordnung und Ortung in Zeiten größter Verletzbarkeit, Zweifeln und Verzweiflung, Abschieden und Neuanfängen: wird es gelingen? Reichen Lust und Liebe aus – was ist das alles überhaupt? Absturz oder Aufstieg? Wo ist mein Platz? Mit wem? Wofür?

Die Zeichnungen verdeutlichen diese komplizierten Fragestellungen in rein linear dargestellten Körpern, die – mit sich lockernden Verbänden – abstürzen (Ent-Wicklungen), sich zu zweit verbinden, tanzen, reiten und streiten oder einsam thronen, und schlussendlich ans Kreuz gefesselt sind, was die einzige Möglichkeit der Verortung (Nähe) zu sein scheint.

Ganz anders kommen die „erstreichelten Zeichnungen“ des zweiten Bändchens daher: ohne die Strenge und Einsamkeit der Linie allein können sich die kräftigen, lockeren Linien miteinander verbinden und so zu lustigen, hüpfenden Flächen und Fäden entwickeln, die bei der Betrachtung ein Gefühl von Heiterkeit, Kraft und Freiheit entstehen lassen.

Passend zu den Titeln der 7 Kapitel, von „vor uns schweben /unzählige adieus“ über „ausgeliefert im freien fall/ den richtungen“ „und luftwesen/ steht alles offen“ strahlen diese abstrakten Gestalten Kraft, Neugier und Mut aus, Brüche und Abschiede als Neugeginn inbegriffen; „daphne“ in ihrer körperlichen Verwandlung ist LINDE UNREINs Schwester und diana, die unabhängige jägerin in ihrem ausdauernden Unterwegssein ihr Vorbild.

Frei sein im Denken und Gestalten, das möchte LINDE UNREIN sein können und so wahrgenommen werden ohne sich selbst zu verbiegen oder einem allgemein erwarteten künstlerischen oder sexuellen habitus anpassen zu müssen! Selbstironisch fällt ihr dazu ein:

„da hilft
nur noch
hühner
suppe

frei

nur die lyrik
ist frei
nur die lyrik
ist frei

frei“

(Band 2, S. 138)

LINDE UNREIN, die Magierin der Sätze und Zeichen findet nach eigenen Worten ihren Platz „nur noch“ im Zirkus, in der „uralten artistenlösung“. Eine großartige Artistin im Zirkus der Bewältigung und Darstellung menschlicher Lebensakrobatik – etwas ganz Besonderes!

Dr. phil. Mechthild Engel