Hermannstadt und Umgebung.

Eine literarisch-fotografische Reise nach Siebenbürgen

Zu dem Buch „Hermannstadt und Umgebung – fremd und vertraut“ / Von Marion Hinz

Vier Frauen aus Franken in Deutschland machten sich im Sommer 2014 auf den Weg nach Hermannstadt/Sibiu. Ziel der Mission: eine gemeinsame Lesung in der Erasmusbücherei im „Teutsch-Haus“. Am Ende wurde noch mehr daraus: ein zweisprachiges Buch mit dem Titel „Hermannstadt und Umgebung – fremd und vertraut“ (Honterus Verlag, Hermannstadt, 2015, deutsch-rumänische Ausgabe). Die Leser werden ihre helle Freu-de an den Texten, Fotografien und alten Postkarten über Hermannstadt und Umgebung haben. Dieses auch optisch schön gestaltete Buch enthält Geschichten und Geschichtliches, Poetisches, Religiöses, Spirituelles, Sagenhaftes und eindrucksvolle Fotos. Erscheinen konnte es dank finanzieller Unterstützung dreier rumänischer Institutionen. Sowohl das Departement für Interethnische Beziehungen der Rumänischen Regierung als auch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt förderten das Projekt. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich.

Die Teilnehmer dieser Reise sind allesamt Mitglieder des Verbands der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer aus Franken (GEDOK). So ist es kein Wunder, dass dieses Projekt mit den Mitteln der Kunst (Literatur, Fotografie) erarbeitet wurde. Während Helga Böhnke für die Fotos zuständig war, schrieben Dagmar Dusil, Ursula Hofmann, Ioana Ieronim und Linde Unrein die Texte, sowohl Lyrik als auch Prosa. Fest steht, die vier kunstbegeisterten, kunstschaffenden Frauen machen in diesem Buch auf unterschiedliche Weise Appetit auf Hermannstadt. Jede der Künstlerinnen hat die Stadt Hermannstadt in Siebenbürgen auf ihre eigene Weise erlebt und für den Leser erlebbar gemacht. Mit Texten und Bildern führen sie den fremden und den vertrauten Blick auf Hermannstadt und seine Umgebung zusammen, begeistern den Leser. Auf diese Weise werden Vorurteile widerlegt, wird die Lust auf Ferien in Rumänien geweckt.

Die in Hermannstadt geborene und dort aufgewachsene Schriftstellerin Dagmar Dusil schaut mit liebevollem Blick voller Erinnerungen auf die Stadt. Ihre Heimatstadt Hermannstadt hat sie 1985 verlassen und lebt seitdem in Deutschland. Doch Hermannstadt war und ist ihr Sehnsuchtsort. Hierfür gäbe es viele sprachlich schöne Beispiele. An dieser Stelle seien nur zwei zitiert. So spricht Dagmar Dusil von „einem Hermannstadt, das damals auf einem Bein stand, bewegungslos, ohne das Gleichgewicht zu verlieren“ (S. 12). Vom Restaurant „Hermania“ sagt sie: „Beim Betreten zieht sich mein Herz zusammen“ (S. 76).

Ihre Mitreisenden blicken mit großem Interesse auf diesen geschichtsträchtigen Ort, der voller Geschichten ist und 2007 Europäische Kulturhauptstadt war. Lyrische Töne wie in der Geschichte „Regentropfen am Zibin“ (Dagmar Dusil) sind in dem Buch ebenso zu finden wie kritische Töne, wie z. B. in Linde Unreins Beitrag „Störche-Dörfer“. Von Störchen ist auch in dem einzigen im Buch enthaltenen Gedicht von Helga Böhnke die Rede, die ansonsten mit stimmungsvollen Fotos das Buch bereichert: „Störche klappern um die Wette/und gleiten im Segelflug/über die Dächer“ (S. 100).

Die ebenfalls in Hermannstadt geborene und dort lebende Beatrice Ungar hat die Texte aus dem Deutschen ins Rumänische übersetzt. Die zweisprachigen Texte stehen sich gegenüber. So können sich auch diejenigen optisch einen Eindruck der jeweils anderen Sprache verschaffen, die derer nicht mächtig sind. Eine gute Idee, gut gemacht. Vielleicht verführt das manchen Leser dazu, den einen oder anderen Satz in der fremden Sprache auszuprobieren, laut auszusprechen. Keine Frage: Dieses Buch macht Lust auf einen Besuch in Hermannstadt. „Wären wir heute/zusammen/an diesem Ort/wo es niemals zu spät ist“ heißt es in dem Gedicht „Invitation au voyage II“ von Ioana Ieronim. Ja, das wäre schön. Hier möchte man gerne zusammen sein.

„Hermannstadt und Umgebung“ , Honterus Verlag Hermannstadt, 183 Seiten, ISBN 9786068573397, 35,50 Euro

 


 

HERMANNSTADT und UMGEBUNG
Fremd und vertraut

Es war sicherlich ein sehr ungewöhnliches litarisches Umfeld, das sich die 4 Frauen der Künstlerinnen Vereinigung GEDOK-Franken für einen Workshop im Sommer 2014 ausgesucht hatten. Aber die Begeisterung von Dagmar Dusil, die aus Hermannstadt stammt und seit 1985 im Fränkischen Raum lebt und somit für das Projekt „das Vertraute“ verkörperte, war auf die anderen übergesprungen. Sie standen für „das Fremde“, die die neue Umgebung mit neugierigen aber „fremden“ Augen betrachten würden und hießen Helga Böhnke, Ursula Hoffman und Linde Unrein. Alle sind ebenfalls Zugereiste im Fränkischen Raum, der sie auch alle verbindet. Die vier Frauen gehören zur Sparte „Literatur“ der GEDOK- Franken, Helga Böhnke vertritt dazu noch die Fotografie.

Die Idee eines Buches kam erst gegen Ende der Reise auf und wurde freundlicherweise finanziell unterstützt durch das Departement für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung ebenso wie durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und das der Deutschen in Hermannstadt.
Der „vertraute Blick“ wurde noch verstärkt durch die Teilnahme von Ioan Ieronim, Dichterin und Übersetzerin, Mitglied des Schriftstellerverbandes Rumäniens sowie des PEN-Clubs, die sich an die „Stufen, Steigen, Treppen“ der Unter-zur Oberstadt als „die heißeste Umarmung“ von Schritt und Stein erinnerte. Außerdem bereicherte die Hermannstädterin Christel Ungar-Topescu das Buch mit zwei Gedichten: Invitation au voyage I und II – quasi eine Einladung, in die Zeit der Kindheit zu rückzugehen und eine in die Gegenwart, durch Siebenbürgen, zu reisen, „an diesem Ort wo es niemals zu spät ist“. (Übersetzung: Dagmar Dusil).
Beim Betrachten und Lesen dieses reizvollen Buches entfaltet sich eine Art Rückblick auf die gemeinsame Erfahrung durch die Reise, der durch die unterschiedlichen Blickwinkel seinen Reiz bekommt. Linde Unrein unternimmt „Versuche einer Annäherung“, die sich in einzelne Abschnitte aufgliedern und verschiedene Blick-Perspektiven aufzeigen: da gibt es die Erinnerung an „Annemarie und Dagmar“, gefolgt von der „Wendung an den Leser“ und der „Autoreise nach Osten und Ankunft“ mit den Störche-Dörfern – wunderbar ergänzt durch die Fotos und ein Gedicht von Helga Böhnke. Der Besuch des Michelsbergs in den Südkarpaten wird geschildert und wiederum fotografisch von H. Böhnke in den Blick genommen, ergänzt durch lyrische Reflexionen von L. Unrein und Ursula Hoffmann. Insgesamt sind die einzelnen Annährungsversuche als ein zusammenhängender literarischer Text zu sehen mit einem inneren Bezug aufeinander, was die Autorin in der „Wendung an den Leser“ vermitteln möchte.
Dagmar Dusil, als spiritor rex der gemeinsamen Reise, widmet sich mit Hingabe und Sorgfalt der kulinarischen Seite von Hermannstadt, immer ein wenig in Sorge, ob ihr „verliebter Blick“ auf Hermannstadt nicht zu Überschätzungen führt, die dem kritischen Blick und den weltläufigen Erfahrungen der Kolleginnen mit dem „fremden Blick“ nicht standhalten könnten. Mit ihren satten und doch feinen Detailfotos von Gemüsen, Blumen und Märkten (sogar im Regen!) unterstützt Helga Böhnke diese Bemühungen aufs Beste.
So ist ein lesenswertes, feinsinniges Buch über Hermannstadt, Siebenbürgen, die Karpaten, Natur und Kultur, Land und Leute entstanden, das man gern in die Hand nimmt. Wünschenswert wäre vielleicht noch ein abschließender Versuch gewesen, eine Art Neu-Verortung vor dem „offenen Horizont“ als dem „redlichsten Modus“ (Linde Unrein) vorzunehmen und sich ein paar Frage zu stellen: Hat die gemeinsame Reise dazu geführt, das Vertraute und das Fremde gleichermaßen aus dem verliebten bzw. kritischen Modus in einen vielleicht begeisterten, verständnisvolleren schieben zu können? Konnte das Fremde das Vertraute in ein neues, eventuell anderes, weiter ausleuchtenden Licht rücken? Konnte eine neue Nähe zwischen den Frauen entstehen, wie, wodurch (nicht)?
Diese Fragen blieben ungestellt und so entsteht beim Lesen und bei näherer Betrachtung der Eindruck einer bleibenden Distanz zwischen dem „verliebten Blick“ und dem „fremden“. Aber möglicherweise ist genau dies den „offenen Horizonten“ und damit der Redlichkeit geschuldet. Und das ist dann auch gut so.

Dr phil. Mechthild Engel